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C. de Silva

Krankenpfleger, Pflegedienstleiter, Pflegewissenschaftler (MScN)

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Flanagan´s Critical Incident Technique (CIT) und deren Anwendung in der (Pflege-) Forschung

Zusammenfassung

In dieser Hausarbeit wird im Rahmen der Auseinandersetzung mit Forschungsmethoden, Flanagan´s Critical Incident Technique (CIT) und deren Anwendung in der (Pflege-) Forschung betrachtet. Zu Beginn der Arbeit wird die Entstehungsgeschichte der CIT kurz beschrieben. 1954 veröffentlichte Flanagan im Psychological Bulletin den Artikel „The Critical Incident Technique". Alle Forscher die in nachfolgenden Untersuchungen die CIT angewendet haben, beziehen sich auf diesen Ursprungstext zur Methode.

In einem weiteren Abschnitt dieser Arbeit wird die Vorgehensweise im Rahmen der Anwendung der CIT beschrieben. Dabei ergibt sich eine Einordnung der CIT im Feld der (eher) qualitativ ausgerichteten Forschungsmethoden. Zur Veranschaulichung wird ein praktisches Anwendungsbeispiel im Rahmen einer Datenerhebung beschrieben.

Pflegeforschung und CIT - seit wann wird im Rahmen von (Pflege-) wissenschaftlichen Fragestellungen auf die CIT zugegriffen? Um dieser Frage nachzugehen wurde in der Datenbank Free-Medline recherchiert. Zwischen 1959 und dem Sommer 2000 lassen sich hier 104 Artikel finden, die im Rahmen der dort beschriebenen Untersuchungen auf die CIT Bezug nehmen. Die meisten der dort genannten Artikel datiert dabei auf die Zeitspanne 1990-2000 mit insgesamt 68 Artikeln. Thematische Schwerpunkte im Feld der Pflegeforschung lassen sich zu psychologischen, pädagogischen, organisationspezifischen und zu Fragen zum komplexen Problemlösen ausmachen. Oftmals stehen Fragen nach erlebten Kompetenzen im Zentrum des Interesses. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Befragten aus ihren persönlichen Erfahrungen / ihrem persönlichen Erleben heraus „kritische Ereignisse" schildern. Dabei wird sowohl auf positive wie auch negative Ereignisse im Rahmen der Befragung / des Interviews focussiert. Beispielhaft werden drei Pflegeforschungsarbeiten skizziert.

Zum Schluss werden aktuelle Beispiele aus Deutschland benannt und dadurch Anwendungsperspektiven aufgezeigt.


Einleitung

Eine Auseinandersetzung mit den Grundzügen empirischer Forschung im Rahmen des Studiums Pflegewissenschaft führt unweigerlich zur Aufarbeitung von verschiedenen quantitativ und qualitativ ausgerichteten Methoden. Darüber hinaus wird jeder Studierende beim Lesen von Forschungsartikeln, aber auch im Rahmen von Forschungspraktika, mit den unterschiedlichsten Methoden konfrontiert. Bortz und Döring (1995) schreiben im Vorwort „Empirische Forschung kann man nicht allein durch die Lektüre von Büchern erlernen". Vielmehr fordern sie ihre Leser auf, sich praktische Erfahrungen im Umgang mit Instrumenten der Empirie zu erarbeiten.

Durch einen Aushang im Institut für Pflegewissenschaft erfuhr ich im Frühsommer 2000 von einem Forschungsprojekt mit dem Arbeitstitel „Personalauswahl im Gesundheitswesen". Das Projekt findet im Rahmen einer Promotionsarbeit am Institut für Allgemeine und Theoretische Psychologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg statt (verantwortlich B. Reuschenbach, Dipl. Psychologe). In dem Aushang wurde u.a. auf die Methoden Critical Incident Technique (nach Flanagan) und Repertory Grid Technique (nach Kelly) hingewiesen. Diese Methoden waren mir unbekannt. Da der Aushang übertitelt war mit der Aussage „Im Grenzgebiet zwischen Pflegewissenschaft und Psychologie" war mein Interesse geweckt. Nach einer ersten Kontaktaufnahme mit dem für das Projekt verantwortlichem Psychologen B. Reuschenbach wurde vereinbart, dass ich als Gast im Rahmen des laufenden Forschungsprozesses Methodenerfahrung zur Critical Incident Technique erwerben kann.

Zielsetzung dieser Hausarbeit

Im Rahmen dieser Arbeit gebe ich nachfolgend meine persönliche Auseinandersetzung mit der Critical Incident Technique wieder. Dabei verfolge ich folgende Ziele:

  1. Beschreibung der Entstehungsgeschichte der CIT und die Einordnung der CIT im Feld der Forschungsmethoden,
  2. die Beschreibung der CIT als Methode,
  3. exemplarische Darlegung der Anwendung der CIT an Beispielen aus der (Pflege-) Forschung.

Methodisches Vorgehen

Nach Rücksprache mit der betreuenden Dozentin wurde der Arbeitstitel „Flanagan´s Critical Incident Technique und deren Anwendung in der (Pflege-) Forschung" für diese Hausarbeit gewählt.

Literatursuche

Die Literatursuche erfolgte in der internationalen Datenbank Free-Medline". Über die deutschsprachige Internet Suchmaschine Fireball wurde zusätzlich nach aktuellen Projekten im deutschsprachigen Raum gesucht. In beiden Fällen wurde mit den Begrifflichkeiten „CIT", „Critical Incident Technique", „Critical Incident Technik" jeweils in Verbindung mit den Schlagworten „Pflegeforschung" bzw. „nursing research" gesucht. Neben der EDV unterstützten Recherche wurde auch die Bibliothek am Institut für Psychologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg genutzt.

Literaturauswahl

Neben dem Originaltext von Flanagan (1954) zur Critical Incident Technique als Primärliteratur, wurde aus dem Buch „Qualitative Methods and Analysis in Organizational Research" von Symon und Cassel (1998) das Kapitel zur Anwendung der CIT als Ausgangstext zur Methode ausgewählt. Im Rahmen der Free-Medline" Recherche wurde aus der Vielzahl der dort genannten Artikel bei der Auswahl darauf geachtet, dass verschiedenartige Anwendungsgebiete (Pflege-) wissenschaftlicher Fragestellungen repräsentiert werden. Insgesamt wurden im Vorfeld der Arbeit 15 Artikel ausgewählt. Bei der Auswahl von Publikationen aus dem Internet wurde auf die Aktualität (Zeitbezug) und auf mögliche Überschneidungsansätze zu pflegerelevanten Themenfeldern geachtet.

Literaturbeschaffung

Zur Literaturbeschaffung wurde die Zentralbibliothek Medizin (Zbmed) in Köln aufgesucht. Hier wurde eine „Handsichtung" der vorausgewählten Forschungsartikel durchgeführt. Die dann ausgewählten Artikel wurden kopiert. Aus der Bibliothek in Heidelberg wurden relevante Buchauszüge ebenfalls beschafft. Angaben/Informationen zu aktuellen Projekten im deutschsprachigen Bereich wurden über das Internet ausgewählt.

Literaturbearbeitung

Die Bearbeitung der Literatur orientiert sich an den formulierten Zielen für diese Hausarbeit. Exemplarisch wurden drei Pflegeforschungsartikel ausgewählt und einer übersichtsartigen Darstellung zugeführt. Wo nötig wurden Textpassagen oder wichtige Aussagen als Zitate vom Englischen ins Deutsche übersetzt. Alle Übersetzungen wurden vom Autor selbst durchgeführt. Um auch die Ursprünglichkeit von Aussagen einzufangen, sind einige Passagen in der jeweiligen Originalsprache wiedergegeben. Verweise zur verwendeten Literatur finden sich im laufenden Text, am Ende der Arbeit gehen aus den Literaturangaben die konkreten Quellenbezüge hervor.


Flanagan´s Critical Incident Technique (CIT)

Der 1906 geborene John C. Flanagan war der erste Psychologe in der U.S. Air Force (1941). Mit ihm (und weiteren Psychologen) erlangten erstmals auf wissenschaftlicher Grundlage basierte Auswahl- und Trainingsverfahren in den amerikanischen Streitkräften an Bedeutung. Flanagan war maßgeblich an der Entwicklung der „Critical Incident Technique" beteiligt. Am Anfang stand dabei die Problemstellung, die geeigneten Piloten für den Einsatz im 2. Weltkrieg aus der Menge der potentiellen Piloten zu selektieren. Schon kurz nach Beendigung des 2. Weltkrieges wurden auch in zivilen Feldern Untersuchungen zur Kompetenzbestimmung und zur Verbesserung der Personalauswahl durchgeführt. Heute hat die Anwendung der CIT (teilweise in modifizierter Form) in verschiedenen Anwendungsgebieten ihre Bedeutung. Dazu gehören Untersuchungen zu psychologischen, pädagogischen, und organisationspezifischen Fragestellungen aber auch Themen aus dem Feld des Gesundheits- und Sozialwesen. Oftmals dient die CIT zur Identifikation von Kompetenzen und in Kombination mit weiteren Forschungsmethoden (Triangulation).

Entstehungs-/Entwicklungsgeschichte der CIT

Flanagan (1954) stellt in seiner Überblicksarbeit die Methode und deren Modifikation als erster umfangreich dar. Im eigentlichen Sinne ist das Verfahren als Beobachtungsmethode entwickelt worden, um kritische Vorkommnisse (Inzidentien) hinsichtlich der situativen Bedingungen und der beteiligten oder folgenden Reaktionen aufzudecken.

Es handelt sich um eine teilstrukturierte Methode, da einerseits der Befragung oder Beobachtungskontext vorgegeben ist, andererseits die Datenanalyse durch die Gegebenheit der Befragten und des Feldes mitbestimmt sind. „The CIT seemed to offer the opportunity to preserve the advantages of the interactive interview whilst at the same time imposing a form of questionning which ensures that all respondents focus upon the same issues" (Norman et.al, 1992). Aus dem Begriff „critical incident" wird unmittelbar deutlich, was die relevanten Kriterien dieser Technik sind: „By an incident is ment any observable human activity that is sufficiently complete in itself to permit inferences and predictions to be made about the person performing the act" (Flanagan, 1954, 327). Es geht also um die Entdeckung von Handlungen einer Person, die so prägnant und bedeutsam sind, dass sie dadurch auch Aussagen über späteres Verhalten ermöglichen. „To be critical, an incident must occur in a situation where the purpose or intent of the act seems fairly clear to the observer and where ist consequences are suffeciently definite to leave little doubt concerning ist effects" (Flanagan, 1954, 327). Weitere Voraussetzungen sind also die Klarheit der Situation, das heißt ihre Beschreibbarkeit, wie auch die Klarheit der passenden Reaktion.

Nach Flanagan kennzeichnen fünf Schritte die Critical Incident Technique

(1) Bestimmung der generellen Ziele

(2) Planung der Erhebung

(3 + 4) Datenauswertung und Datenanalyse

(5) Interpretation und Ergebnisdarstellung

Vorgehensweise im Rahmen der Anwendung

Aufgrund der bisherigen Informationen zur Critical Incident Technique wissen wir, dass die sog. „kritischen Ereignisse" (teilweise als komplexe Fälle) auch als Kristallisationspunkte, an denen uns Kontraste bewusst werden, aufgefasst werden können. Dabei kommt der Subjektzentriertheit dieser Methode eine wichtige Rolle zu. In der praktischen Durchführung im Rahmen der Datenerhebung mittels CIT werden verschiedene Vorgehensweisen beschrieben, dazu gehören u.a.:

In vielen Projekten wird das Interview preferiert. Allerdings kann mittels Fragebogen auch eine gezielte Ergänzung zum Interview und dadurch insgesamt eine höhere Informationsdichte erreicht werden. Am Beispiel einer konkreten Anwendung möchte ich dies nunmehr beschreiben.


Die praktische Seite der Anwendung der Critical Incident Technique (hier Beispiel für Datenerhebung)

In dem Promotionsvorhaben von Reuschenbach (2000 / 1) geht es um die Verbesserung der Personalauswahl im Gesundheitswesen, einhergehend mit der Entwicklung verbesserter Methoden der Personalauswahl (focussiert auf beruflich Pflegende im Krankenhaus). Im Rahmen der Analysephase wird auch mit der Methode der Critical Incident Technique gearbeitet. Dabei werden sog. „kritische Situationen" gesammelt, d.h. Situationen, in denen die Eignung einer Pflegekraft in besonderer Weise deutlich wird. Daraus lassen sich dann im weiteren Verlauf auch Antworten zur Frage nach wichtigen „Pflegekompetenzen" ableiten (Bestimmung expliziter Anforderungen). Im weiteren Verlauf dieser Promotion geht es um die Neuentwicklung von Methoden zur Personalauswahl. Hierzu müssen zwei entscheidende Fragen beantwortet werden. Nach Reuschenbach sind dies:

Um ein möglichst facettenreiches Bild zu erhalten wird die Analyse relevanter Anforderungen in den einzelnen Hierarchiestufen durchgeführt. Konkret bedeutet dies, dass Auszubildende in der Krankenpflege, Pflegepädagogen, Krankenschwestern /-Pfleger, Stationsleitungen und Pflegedienstleitungen befragt werden sollen. Zur Abrundung sollen darüber hinaus auch noch Patienten (im Feld der Kinderkrankenpflege auch Eltern) und Krankenhausärzte befragt werden.

Aus dem Fundus der zur Verfügung stehenden Methoden wird hierzu die Critical Incident Technique verwendet. Im Zentrum des Interesses steht dabei die Frage: „Was ist Pflegekompetenz und in welchen Situationen wird dies deutlich? Zu den Vorteilen dieser Methode merkt Reuschenbach (2000 / 1) an: „Die Verwendung der Critical-Incident-Technique (CIT) bietet den Vorteil, dass Anforderungen verhaltensnah analysiert werden können. Globale Konstrukte wie „soziale Kompetenz" lassen sich so bestimmten konkreten Situationen zuordnen". Dabei scheint es wichtig zu sein, dass sich die so aufgespürten „kritischen Ereignisse" als trennscharf erweisen. Dies hätte ggf. auch den Vorteil, dass sie so leichter in zukünftige Auswahlverfahren abgebildet werden könnten.

Bezogen auf die von mir im Rahmen dieses Projektes durchzuführende Erhebung1 im Ausbildungsbereich sei noch folgendes angemerkt. In der Zeit von September 2000 bis Dezember 2000 wurden 337 Auszubildende per Fragebogen zu kritischen Ereignissen befragt. Darüber hinaus wurde in den 17 Kursen jeweils ein Gruppeninterview durchgeführt. Außerdem konnten in den Ausbildungsstätten 27 Pflegepädagogen per Einzelinterview mittels Critical Incident Methode befragt werden. Auf den beiden nachfolgenden Übersichtsgrafiken können die verschiedenen Befragungsebenen eingesehen werden. Reuschenbach (2000 / 2) schreibt dazu: „Im konkreten Fall steht die Aufdeckung von bedeutsamen und/oder kritischen Situationen im Pflegealltag im Mittelpunkt. Die Bestimmung, was als kritisch und/oder bedeutsam definiert ist, trifft die befragte Person selbst, anhand impliziter Zielkriterien der Pflege und damit aus Ihrem Pflege(selbst)verständis (...) heraus."

Der nachfolgenden Grafik sind die Befragungsebenen im Rahmen der Auszubildendenbefragungen zu entnehmen.

Am Anfang der Befragung wird nach allgemeinen Zielen (general aims) gefragt. Also Fragen wie: Was macht für Sie Pflege aus? Was sind die Aufgaben der Pflege? Zur Entdeckung der kritischen Ereignisse wird sowohl noch positiven wie auch negativen Inzidentien im Fremd- und Selbstbild gefragt. Da sich die Befragung auch auf bestimmte Aufgabenstellungen (Positionen) in der Pflege bezieht, werden auch diese entsprechend beleuchtet. Ergänzt wird die Befragung durch Fragen zu relevanten Eigenschaften und zu möglichen Einstellungskriterien.

Neben den Auszubildenden wurden auch die Pflegepädagogen in den Ausbildungsstätten mittels CIT interviewt. Für diese Einzelinterviews standen jeweils ca. 45 Minuten (bei Bedarf auch längere Zeitspanne) zur Verfügung. Das Interview orientierte sich am o.g. Muster. Neben dem Focus auf Auszubildende und examinierte Pflegekräfte, wurde zusätzlich auch noch der auf Stationsleitungen und Pflegedienstleitungen focussiert.

Ab Januar 2001 werden die so gewonnen Daten in einem interpretativen Verfahren analysiert. Da dies meine erste Beteiligung in einem solchen Projekt ist, sehe ich dieser Aufgabe mit einer gewissen Spannung entgegen.


Pflegeforschung und CIT

Ergebnisse der Free-Medline" Recherche

Im Rahmen der Beschäftigung mit dem Thema wurde eine Recherche in der internationalen Datenbank Free-Medline" durchgeführt. Im Zeitraum von 1959 bis August 2000 lassen sich in dieser Datenbank 104 Autoren ausfindig machen, die mittels CIT im Rahmen ihrer Forschung gearbeitet haben. Der nachfolgenden Grafik ist zu entnehmen, wie die Anwendung der CIT im Forschungsfeld Fuß gefasst hat.

Dabei fand sich der erste relevante Eintrag zur Anwendung der CIT als Forschungsmethode im Feld der Pflegeforschung für das Jahr 1959. In dem von Carter veröffentlichten Artikel ging es um die Anwendung der Critical Incident Technique zur Identifikation der Patientenwahrnehmung zur therapeutisch relevanten Patienten-Patienten Interaktion in einem psychiatrischen Bereich.

Aufgrund der Free-Medline Recherche wird deutlich, dass die Critical Incident Technique schon seit vielen Jahren auch in der Pflegeforschung als Methode genutzt wird. Allerdings beziehen sich alle Einträge auf Untersuchungen, die ihren Ursprung nicht in Deutschland haben. Wie nicht anders zu erwarten, wurde mittels der CIT zuerst im nordamerikanischen Raum im Rahmen von Pflegeforschungsaktivitäten gearbeitet. Schaut man aber auf die letzten zehn Jahre, so hat eine Verlagerung in den europäischen Raum stattgefunden. Allein in Großbritannien wurde in den letzten 10 Jahren 24 Arbeiten angeführt, in denen die CIT zum Einsatz kam.

Da es im Rahmen dieser Hausarbeit nicht möglich ist ein Review aller Artikel dieser Recherche durchzuführen, möchte ich lieber nachfolgend drei Artikel herausgreifen, um so Anwendungsbereiche im Rahmen von pflegewissenschaftlichen Fragestellungen darzulegen.

In dem 1995 von Beech und Norman publizierten Artikel geht es um die Wahrnehmung der Qualität von psychiatrischer Pflege aus Sicht der Patienten. In einer Feldstudie (n=24) wurde mittels einer auf der Critical Incident Technique basierenden Methode nach Ereignissen gesucht, die auf hohe und auf niedrige Qualität von pflegerischer Versorgung in diesem Feld schließen lassen. Aufgrund der qualitativen Inhaltsanalyse der Interviews ergaben sich 239 Indikatoren für gute ( 147) bzw. weniger gute (92) Qualität von psychiatrischer Pflege. Diese genannten kritischen Ereignisse konnten wiederum in einem weiteren Schritt des Verfahrens in 6 Hauptkategorien unterteilt werden. Folgende Kategorien konnten gebildet werden:

Theme Number of

positive quality indicators

Number of

negative quality indicators

Total number

of quality indicators

Handling violence

and disturbance

13
11
24
Communicating

caring

68
30
98
Respect
25
16
41
Ward atmoshere
4
8
12
Nursing numbers
1
15
16
Nurses attributes
36
12
48
Total

in %

147

(62%)

92

(38%)

239

(100%)

Beispielhaft möchte ich hier an dieser Stelle zwei Aussagen von Patienten herausgreifen. Eine Aussage bezieht sich auf die Kategorie „Umgang mit Gewalt(tätigkeit), störendem Verhalten, Unruhe(zustände)", die andere auf die Kategorie „Respekt".

Als Aussage für eine als weniger gut empfundene Pflegequalität im ersten Beispiel wird von einem Patienten die erlebte „Gleichgültigkeit" der Krankenschwestern genannt. Er bezieht dies auf das Ignorieren von „minor incidents", die aber für den einzelnen Patienten von großer Bedeutung/Wichtigkeit sind: „Sie (die Krankenschwestern) sahen es nur als ein kleines Ereignis, sie sahen darin keine weitere Pflegerelevance und keine der Schwester sagte Entschuldigung ... Ich suchte jemand für ein Gespräch, es war fürchterlich. Du bekommst es nur aus Dir raus durch ein Gespräch mit einer Schwester. ... Es passiert so oft, dass sie das ignorieren."

Respektvoller Umgang mit Patienten im psychiatrischen Handlungsfeld war eine weitere wichtige Kategorie. Wichtig schon allein deswegen, weil so spürbar wird, welche Rolle dem psychisch veränderten Menschen zugestanden wird. Sich weiterhin als Mensch zu fühlen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Manchmal zeigt sich dies an „kleinen" Details. Ein Patient nannte als positiv empfundenes Beispiel, dass eine Krankenschwester den Patienten auf Station zu Weihnachten ein Glas Sherry angeboten hat. Aber auch der respektvolle Umgang bei Tätigkeiten des täglichen Lebens (Körperpflege, Hilfe bei Ausscheidungen, etc.) wird eine wichtige Rolle im Rahmen von respektvollem pflegerischen Handeln zuerkannt.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Critical Incident Technique ihre Stärken gerade als interaktive Methode hat und so dafür sorgt, dass die Patientensicht, gerade wenn es um die Frage der erlebten (Pflege-)Qualität geht, so ausspielen kann. Gerade in einem Feld wie der psychiatrischen Versorgung, wo man bisher nur sehr wenig über die Patientenperspektive von erlebter Pflegequalität weiß.

Tolson, Smith und Knight (1999) nutzten die Critical Incident Technique im Rahmen eines Mehrmethoden-Design (Triangulation). Dabei ging es um die Darlegung von bestmöglicher Pflege aus der Sicht des Konsumenten. Das besondere daran: Es ging um die Zielgruppe akut erkrankter älterer Patienten die als Begleitdiagnose dementielle Auffälligkeiten haben. Insgesamt wurden 213 Personen die 65 Jahre und älter waren in die Stichprobe aufgenommen.

Bezogen auf die Anwendung der Critical Incident Technique wurde ein Sample von 41 Personen daraus selektiert. Sie hatten alle das Merkmal chronischer Verwirrtheit als Einschlusskriterium. Zusätzlich wurde die Hauptbezugsperson aus dem sozialen Umfeld hinzugezogen. Dem Interview lag ein Leitfaden zugrunde. Die Interviews wurden per Tonbandgerät aufgezeichnet und anschließend transkribiert. In einem ersten Analyseschritt wurde von drei verschiedenen Untersuchern eine Aufteilung der geschilderten Ereignisse in die Kategorien positive, negative oder neutrale Beispiele für pflegerische Versorgung vorgenommen. In einem zweiten Schritt konnten danach 4 Hauptkategorien gebildet werden:

Auch an dieser Stelle möchte ich auf zwei der Kategorien eingehen und Beispiele aus dem Artikel verwenden. Zur Kategorie „Visible love", die Verbindung und Liebe zwischen Patient und Angehöriger, veranschaulicht diese Interviewpassage die Bedeutung für eine Tochter sehr deutlich: „It might sound trivial, but the flowers. People get flowers ... (long pause) ... we had to water them, they were dying. I don´t think mum is aware of the fact that the flowers ... (cries) ... Sometimes she doesn´t even know we are there. If only they had watered the flowers ... (very distressed, fakes a break) ... I don´t want the flowers to die. I need to give her flowers. She is still my mum. What will it be like when i can´t give her flowers? ... Wee things like that they can take the flowers out at night or something. Most of them don´t know that the flowers are there, they don´t know where they came from. We brought them in. We gave them. My mother would appreciate that, the others would see she gets flowers."

An diesem Beispiel wird besonders die symbolische Bedeutung der Blumen für die Tochter deutlich. Eine Bedeutung, die im normalen Pflegealltag auf Station nur zu schnell übersehen werden kann und so in der Interaktion mit den Betroffenen zu Missverständnissesn führen kann. Darüber hinaus wird hier ganz besonders die Subjektbezogenheit der Methode im Rahmen der Datenerhebung deutlich.

Die Kategorie „Reaching me, reaching you" steht für die Interaktion zwischen Patienten und ihren Besuchern, Patienten und den Pflegekräften und den Besuchern und den Pflegekräften. Für Patienten dabei besonders wichtig, dass sie von Pflegekräften verstanden werden, trotz oder gerade wegen ihrer kognitiven Einschränkungen/Defizite. Für Angehörige besonders wichtig, dass sie involviert werden in die Tagesgestaltung und auch Aufklärung zur Problematik dementiell Erkrankter erfahren. Ein Textbeispiel soll auch dies verdeutlichen: „She just doesn´t remember what she has had for her dinner, who has been up to visit in the afternonn or things like that. She will tell you that she has not had her dinner or seen a doctor and nobody in and things like that. I could cry for her. Ist not good. Ist not right. I don´t understand it. But what can you do? If I knew what she had I could tell her. I could tell her and it would help her to et back to straight thinking."

Die Autoren kommen im Rahmen der Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die vorgefundene Pflege nicht als optimal bezeichnet werden kann. Vielmehr wurde ersichtlich, dass gerade in den untersuchten Akutbereichen der Krankenhäuser beruflich Pflegende mehr spezielles Wissen, auch über die spezifischen Bedürfnisse von dementiell Betroffenen und deren Angehören, haben müssen. Dazu ist es erforderlich, die Wurzeln der Probleme zu erkennen. Eine systematische Herangehensweise kann hier Klarheit schaffen.

Zur Anwendung der Critical Incident Technique im Rahmen der ausgewählten Stichprobe bemerken die Autoren kritisch, dass die Perspektive der wahrhaftig Leidenden (Dementen) nur begrenzt in die Untersuchung einfließen konnte. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass sich nur einige Patienten wirklich aktiv an den Interviews im Rahmen der CIT beteiligen konnten. Spätestens hier wird deutlich, dass auch eine Methode wie die CIT nicht in jedem Fall zu den gewünschten Ergebnissen führt. Die Aussagekraft aller Interviewmethoden steht und fällt mit den Möglichkeiten der Interaktion / Kommunikation im Rahmen der Begegnung mit den zu Interviewenden. Je nach Grad der kognitiven Beeinträchtigung ist dies von den Forschern zu berücksichtigen.

Im dritten Beispiel geht es um eine von Rimon (1979) durchgeführte Untersuchung zur Wahrnehmung des Krankenpflegepersonals bezüglich ihrer psychologischen Rolle (Funktion) in der Rehabilitation von Patienten. Im ersten Abschnitt der Arbeit geht der Autor auf die vorhandene Literaturlage zu diesem Themenfeld ein. Um Informationen von Pflegekräften (ihre Wahrnehmung) zu sammeln, wurde die Critical Incident Technique (nach Flanagan) als Methode ausgewählt. Zum einen, weil diese Methode bereits in zahlreichen Arbeitsanalysen in verschiedenen Berufsfeldern eingesetzt wurde, zum anderen weil diese Methode eine starke Subjektzentriertheit bietet. Der Autor erinnert an dieser Stelle daran, dass es nicht um seine Einschätzung zur psychologischen Rolle von Pflegekräften in der Rehabilitation geht (er selbst ist Psychologe), sondern um das Rollenverständnis / die Wahrnehmung der Pflegekräfte. Aus diesem Grund schloss er die direkte Beobachtung als Methode aus.

Die Untersuchung fand in einer Rehabilitationsklinik in einem Vorort von Tel-Aviv (Israel) statt. Bis auf zwei untersuchte Personen waren alle anderen Frauen. Die Untersuchung fand während der Frühschicht statt. Der Beginn im Rahmen des Interviews erfolgte mit folgender Einleitung: „Ich weiß, dass in dieser Klinik im Gegensatz zu anderen Kliniken, eine Krankenschwester häufiger auch psychologisch tätig werden muss, und somit nicht nur ihren Schwerpunkt in der rein medizinischen Pflege hat. Denkst Du, Du kannst mir ein konkretes Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit geben, wo Du aus Deinem Gefühl heraus sagen kannst, dass Du eine psychologische Pflege einem Patienten gegeben hast?"

Der Autor berichtet, dass diese Frage zu zwei unterschiedlichen Verhaltensweisen der Pflegenden führte. Dabei fand eine Trennung in kooperative und unkooperative Personen statt. Dazu schreibt er weiter: Three common responses were; (1) in the case of a non-Israele-born nurse, to fall back onthe excuse that her Hebrew wasn´t good; (2) to point a finger at another nurse standing close by and say that she could be of greater help; or (3) to say „I can´t think of anything", or „I don´t know". Oftmals fand eine Reformulierung der Ausgangsfrage statt. Gab es weiterhin den Hinweis auf ein weniger kooperatives Verhalten, so wurde in diesen Fällen das Interview nicht weiter fortgesetzt.

Die durch die Interviews gewonnenen Aussagen konnten verschiedenen Kategorien zugeordnet werden. Nachfolgende Auflistung gibt die vom Autor durchgeführte Kategorienbildung wieder:

  1. To assist patient to adjust to hospitalization by introducing and explaining hospital routines and policies; and enforcing the hospital routine.
  2. To recognize symptoms of pathology and the need for professional psychological or psychiatric tretment. Make the proper referrals and then supervise patients under treatment, and note drug effects.
  3. To demonstrate acceptance and understanding of the patient as a person and of his problems. Be non-judgemental but correct improper behaviour.
  4. To encourage patient to communicate, and demonstrate ability and willingness to listen, thus alleviating anxiety and helping to build interpersonal relationships.
  5. To use sources other than one´s own observations for feedback on patient behaviour and to create a supportive environment. Involve others, e.g. family members, in patient´s rehabilitation. Introduce patient to other patients with similar diabilities.
  6. To explain tretment and ist rationale. Help and encourage patient to become independent. Stress the importance of independence and need for patient´s cooperation.
  7. To actively help patient re-enter society and gain independence by showing solidarity and physical support. Detection and creative solution of problems, sometimes involving others.
  8. To calm, comfort, advise, councel and give hope. Explain to patient how to manage present problems, giving examples of fellow-patients who have adjusted to or overcome similar difficulties."

Die geschilderten Ereignisse, die zu den o.g. Kategorien führten, zeigten deutlich etwas über die von den Krankenpflegekräften wahrgenommenen, und somit erkannten, psychologisch auf Patienten wirkenden Verhaltensweisen ihres eigenen Tuns. Dabei wurde ein breites Spektrum von Handlungen sichtbar. Pflegende sahen es nicht nur als ihre Aufgabe, dass der Patient ein frisches Bett hat, die korrekte Medikation erhält und rein körperlich von ihnen versorgt wird.

Auch hier möchte ich wieder auf zwei Kategorien etwas näher eingehen, indem ich Beispiele für Aussagen anfüge. Zur zweiten Kategorie, „dem Erkennen von pathologischen Symptomen, und dem Bedürfnis professionelle psychologische oder psychiatrische Hilfe zu erhalten" machte eine Krankenschwester folgende Aussage: „There was a patient who isolated himself. He wouldn´t talk to other patients. He didn´t eat or talk to anyone for several days. I tried to get him to talk to me on several occasions but he wouldn´t open up. When this continued I consulted the doctor and shortly thereafter he was given psychiatric treatment." Neben dem Erkennen und dem Einleiten zusätzlicher Hilfe für den Patienten wird hier auch deutlich, dass Rehabilitationsarbeit im multidisziplinären Kontext stattfindet. Der professionelle Umgang mit psychisch oder psychiatrisch auffälligen Patienten in der Rehabilitationsklinik erfordert die Beteiligung entsprechender Berufsgruppen.

Ein sehr schönes Beispiel für die Kategorie „Demonstration von Akzeptanz und Verstehen für einen Patienten und seine Probleme, verhalte Dich wertfrei aber korrigiere wo nötig" findet sich in diesem Statement:

„We have a new patient. When I came in the morning, I found his whole bed wet. I asked him what happened and he denied that it was his bed. I took him aside and said -maybe you didn´t feel well? Maybe a bottle broke on your bed? Maybe you were cold and as a result you urinated without realizing? I wanted to know whether he had control or not. I explained to him that I was asking to help him, not to blame him." Der Umgang mit diesem Patienten in dieser Situation zeigt auch den Umgang mit der Würde eines Menschen.

In seiner Zusammenfassung stellt der Autor fest, dass mittels der Critical Incident Technique das Ziel der Untersuchung, nämlich die Offenlegung von psychologischen Anteilen (Aktivitäten) im Rahmen der pflegerischen Handlungen aus Sicht der Pflegenden, gelungen ist. Zum Ende der Arbeit gibt der Autor den Hinweis, dass man auch mittels der Critical Incident Technique seine Arbeit (z.B. in einem Krankenhaus) reflektieren kann.


Anwendung der CIT in aktuellen Projekten in Deutschland

Im Rahmen der Auswertung der Free-Medline Recherche wurde ersichtlich, dass im deutschsprachigen Bereich nur sehr wenige Pflegewissenschaftler bzw. Autoren im Rahmen ihrer Untersuchungen die CIT als Methode verwenden. Eine anschließend durchgeführte Recherche mittels der deutschsprachigen Internet-Suchmaschine Firebal führte dann aber doch zu verschiedenen Hinweisen auf die Anwendung dieser Methode. Im Zusammenhang mit der CIT als Methode fielen immer wieder Schlagworte wie Organisationsanalysen, Kundenzufriedenheit, Beschwerdemanagement und Change-Management. Exemplarisch möchte ich 3 der dort beschriebenen Forschungsprojekte kurz skizzieren.

Seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag (SENTHA) (1)

In diesem interdisziplinär angelegten Forschungsprojekt (Technische Universität Berlin, Institut für Arbeitswissenschaften; Brandenburgische Technische Universität Cottbus, Lehrstuhl Kommunikationstechniken; BIS Berliner Institut für Sozialforschung GmbH / Deutsches Zentrum für Alternsforschung an der Universität Heidelberg DZFA) setzt man sich mit der Gestaltung altengerechter Technik für den häuslichen Bereich auseinander. Der Projektbeginn war im September 1997. Insgesamt ist das Projekt auf 6 Jahre angelegt. Ausgangslage für das Projekt ist auf der einen Seite die erwartete Zunahme der Bevölkerungsgruppen der betagten und hochbetagten Menschen aufgrund der demographischen Entwicklung. Auf der anderen Seite wird die Möglichkeit, sein Leben selbständig zu gestalten als Wertvorstellung in unserer Gesellschaft formuliert. Dazu gehört eben auch das Führen des eigenen Haushaltes. Es wird davon ausgegangen, dass altersgerechte Geräte der Haustechnik die Selbständigkeit im häuslichen Alltag unterstützen.

Der Zugang der Forschergruppe besteht in einer stärkeren Orientierung an den älteren Menschen. Dazu wird u.a. bemerkt: „Bereiche der alltäglichen Lebensführung, in denen ältere Menschen Schwierigkeiten haben, werden in dem interdisziplinären und kooperationsintensiven Forschungsprogramm der beteiligten Disziplinen erkannt und analysiert". Das Gesamtprojekt wurde in verschiedene Teilprojekte untergliedert. Im Teilprojekt B (Gestaltung- und Beurteilungsregeln für seniorengerechte Haushaltsgeräte) wird auf Grundlage einer Analyse der alltäglichen Aufgabenbewältigung (orientiert am Konzept der „Activities of Daily Living") die Fähigkeiten und Fertigkeiten älterer Menschen untersucht. Einen wichtigen Punkt stellt in diesem Zusammenhang die Defizitanalyse dar. Neben einer Literaturstudie werden „kritische Ereignisse" älterer Menschen im Umgang mit Technik erhoben. Dies geschieht u.a. unter Nutzung eines selbst entwickelten Fragenkataloges orientiert am „Critical Incident"-Ansatz.

Als Ziel für dies Teilprojekt wird die Erarbeitung von produktunabhängigen Gestaltungs- und Beurteilungsregeln für seniorengerechte Haushaltgeräte gesehen. Darüber hinaus soll es eine größere Transparenz über die Mensch-Technik-Interaktion und daraus resultierender Problembereiche, bezogen auf die Bevölkerungsgruppe der Senioren, geben.

Familienkompetenzen als Sprungbrett (2)

In diesem von M. Vollmer (2000) im Internet veröffentlichten Artikel geht es um ein Projekt zur „Messung der Familienkompetenzen". Dem Projektauftrag lag die Annahme zugrunde, dass jede menschliche Leistung auf ein Zusammenspiel von fachlichen und überfachlichen Komponenten beruht. Gerade aber das Tätigkeitsfeld des privaten Engagements wie zum Beispiel die Arbeit in Haushalt und Familie, ebenso das Ehrenamt, aber bisher kaum als Quelle wichtiger, persönlichkeitsförderlicher Erfahrungen genannt wird. Vollmer kommt zu dem Schluss: „Es kann heute, auf der Schwelle zum nächsten Jahrtausend, nicht mehr wichtig sein, in welchem Kontext ein Mensch seine Kompetenzen und Potentiale entwickelt hat. Wichtig ist vielmehr, daß sie meßbar vorliegen". Vor diesem Hintergrund hat das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit dies Projekt initiiert. In dem Projekt ging es um die Messung von Kompetenzen, die Frauen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit in Haushalt und Familie entwickeln.

Zum weiteren Vorgehen im Projekt schreibt Vollmer: „Für jeden Arbeitsplatz, somit auch für den Arbeitsplatz „Haushalt und Familie" kann ein Anforderungsprofil erarbeitet werden, in dem sowohl die fachlichen als auch die überfachlichen Qualifikationen aufgelistet sind. Das aussagekräftige Anforderungsprofil eines Arbeitsplatzes wird am besten mit Hilfe der Stelleninhaberinnen und Stelleninhaber erarbeitet. Diese gelten als Spezialisten, die von keinem anderen Personenkreis ersetzt werden können". Im Rahmen von 6 Workshops mit jeweils 6-8 Teilnehmerinnen und unterstützt von einer entsprechenden Moderation, wurde mittels Flanagan´s Critical Incident Technique verschiedene Anforderungsdimensionen deutlich.

Vollmer nennt als Ergebnis zehn Anforderungsdimensionen, mit denen die überfachlichen Kompetenzen und Anforderungen des Arbeitsplatzes „Haushalt und Familie" beschrieben werden können:

  1. Komplexes Problemlösungsverhalten,
  2. Planung, Koordination, Kontrolle,
  3. Entscheidungsverhalten,
  4. Kommunikationsaspekte,
  5. Integration und Konfliktfähigkeit,
  6. Delegation und Führung,
  7. Unternehmensbezogenes bzw. familienbezogenes Denken und Handeln,
  8. Persönliche Kompetenz und Selbstbeauftragung,
  9. Pädagogische Kompetenz,
  10. Belastbarkeit.

Im Ergebnis kommt sie zu folgender Einschätzung: „Die Komplexität dieser Anforderungskriterien zeigt, dass soziale Kompetenzen ein Erfolgskriterium des haushaltlichen Bereiches sind, die planerischen und organisatorischen Leistungen ein anderes. Das Gesamt der gefundenen Anforderungskriterien bestätigt den Arbeitsplatz „Haushalt und Familie" als Lernfeld umfangreicher überfachlicher Kompetenzen". Damit stellt sich der haushaltlich-familiäre Wirkungskreis für die Kompetenzentwicklung in einen anderen Kontext dar.

Sowohl für Personalverantwortliche als auch für die Frauen selbst eröffnet dies die Chance, die hier entwickelten überfachlichen Kompetenzen gezielt bei Bewerbungen oder beruflichen Veränderungen einzusetzen.

Forschungsprojekt Patientenberatung (3)

Ein Beispiel für das Feld Qualitätssicherung und Evaluation wird mit diesem Projekt beschrieben. Dabei geht es um eine in der Zeit zwischen dem 01.07.1998 bis 31.12.1999 durchgeführten Untersuchung. In der o.g. Zeitspanne begleitete die Forschungsgruppe „Evaluation und Qualitätssicherung" (Leitung: Prof. Dr. W. Belschner) die Arbeit der Unabhängigen Patientenberatungsstelle (UPB) in Bremen. Als Ziel für das Projekt wird genannt: „Das Ziel des Forschungsprojektes besteht darin, optimale Bedingungen für die Arbeit einer Patientenberatungsstelle zu eruieren und das Team der UPB bei der Installation und Integration der Forschungsergebnisse zu unterstützen". Im Rahmen der Untersuchung werden verschiedene Methoden angewendet. Im Zentrum des Interesses stehen Aussagen/Beobachtungen:

Auf folgende Instrumente wird im Rahmen des Forschungsdesign verwiesen:

Leider fanden sich zu diesem Projekt keine Folgeinformationen dieser Forschungsgruppe (evtl. ist ein Projektbericht bei den Auftraggebern erhältlich).

Sonstige Anwendungsmöglichkeiten der CIT

Das Gesundheitswesen hat den Patienten (Angehörigen) als Kunden entdeckt. Eine Entwicklung wie man sie schon seit vielen Jahren aus anderen Ländern kannte hat Deutschland spätestens nach den Novellierungen der Gesundheits-/ und Sozialgesetzgebung in den letzten Jahren erfasst. Der verstärkte Wettbewerb am „Gesundheitsmarkt" fordert von den Anbietern von Gesundheits-/ und Sozialleistungen eine stärkere Hinwendung auf den Kunden. Nur so wird man sich in Zukunft seinen Platz als Leistungsanbieter sichern können.

Beispiel: Beschwerdemanagement

Wie in anderen Zweigen der Wirtschaft schon seit vielen Jahren üblich, so entdecken auch Krankenhäuser, Heime usw. die Aufgabe des Qualitätsmanagements als entscheidenden Aspekt der Zukunftssicherung. Ein oftmals vernachlässigter Bereich stellt ein modernes Beschwerdemanagement dar. Als Klinik kann ich aus kritischen Äußerungen von Patienten/Angehörigen wichtige Kundenbedürfnisse ermitteln. Außerdem kann es mir als Frühwarnsystem im Rahmen der Schwachstellenanalyse dienen. Als selbstverständlich sollte heutzutage gelten, dass kritische Äußerungen von Kunden (Patienten, Angehörigen, Kooperationspartnern, Kostenträger, Lieferanten, einweisende Ärzte, usw.) systematisch erfasst und analysiert werden. Eine weitere Möglichkeit, die bisher aber eher noch selten genutzt wird, ist ein möglichst aktives Vorgehen, z.B. auch der Einsatz explorativer Interviews. Unter Einsatz der Critical Incident Technique können die „Kunden" darum gebeten werden, sich an außergewöhnlich positive aber auch an außergewöhnlich negative Ereignisse/Erlebnisse zu erinnern. Eine gezielte Aufarbeitung dieser Angaben ermöglicht neben einer Offenlegung von Stärken eben gerade auch das Aufspüren von Schwächen. Im weiteren Verlauf können so die dahinter liegenden Probleme analysiert und möglichst beseitigt werden. Ein zusätzlicher, positiver Nebeneffekt ist die Außenwirkung eines solch aktiven Vorgehens. Dem Kunden zeigt es nämlich u.a., dass seine Meinung, seine Anliegen als wichtig angesehen wird.

Im Artikel „Spitalärzte im Lichte von Beschwerdebriefen" beschreiben Ludwig, Blatter und Fuhrer (1999) eine am Berner Universitätsspital durchgeführten Analyse von arztbezogenen Beschwerdebriefen. Auch hier heben die Autoren die durch Wettbewerb immer wichtiger werden Faktoren Dienstleistungsqualität und Kundenzufriedenheit als zu beachtende Erfolgsgrößen explizit hervor. Die insgesamt 57 Beschwerdebriefe (54 gingen davon in die Untersuchung weiter mit ein) wurden zuerst in formaler Hinsicht ausgewertet. Danach erfolgte eine qualitative Inhaltsanalyse mittels der Critical Incident Technique. Die Autoren bemerken dazu: „Diese Methode verarbeitet so genannte kritische Ereignisse, worunter Vorfälle oder Verhaltensweisen fallen, welche deutlich vom Durchschnitt abweichen und dadurch leicht wahrgenommen werden". Neben der Darstellung von quantitativen Angaben (bezogen auf die formale Auswertung) benennen die Autoren fünf Kategorien. Diese Kategorien waren das Endprodukt einer durch ein induktiven Verfahren erarbeiteten Klassifikation der beschriebenen Ereignisse. Genannt werden: ärztlicher Dienstleistungsprozess, ärztlicher Bildungs- und Forschungsprozess, Pflegeprozess, Hotellerie, Administration und Varia.

Die meisten Klagen betrafen die als mangelhaft erlebte Aufklärung über medizinische Maßnahmen. Daneben wurden auch organisatorische Mängel und Mängel in der Interaktion zwischen Ärzten und den Patienten/Angehörigen benannt. Die Autoren weiter: „In einzelnen Beschwerdebriefen fanden sich Hinweise auf eskalationsträchtige Situationen, in deren 15/54 wurden namentlich potentiell straf- oder haftpflichtrechtsrelevante Tatbestände beschrieben". Leider gehen die Autoren nicht weiter auf den Prozess der Kategorienbildung ein. Trotz Betonung des „qualitativen" Ansatzes der Critical Incident Technique liegt dem Schwerpunkt der Ergebnisdarstellung eher eine quantitative Aufarbeitung zugrunde. Ein wichtiger Hinweis wird aber meiner Meinung nach am Ende des Artikels noch gegeben. Da der Einschätzung von Patienten/Angehörigen oftmals subjektive Kriterien zugrunde liegen, sind Klinikmitarbeiter aufgefordert, diese Wertesysteme in Erfahrung zu bringen. So kann es gelingen, die tägliche Arbeit kritisch zu hinterfragen.


Einordnung der Methode

Chell (1998) ordnet die CIT den qualitativen Methoden zu. Sie schreibt: „Die CIT Interview Technik ist ein qualitatives Interview Procedere, das es uns im Rahmen einer Forschung ermöglicht (erleichtert), ein signifikantes Ereignis (Begebenheit), identifiziert durch den Befragten, den Weg der Bewältigung und die Ergebnisse im Zusammenhang mit den wahrgenommenen Effekten aufzuspüren". Und weiter führt sie an: „Das Ziel ist eine Zuname des Verständnisses in Bezug auf das kritische Ereignis aus Sicht des befragten Individuums". Erst dadurch scheint eine Erklärung kognitiver, affektiver und Verhaltenselemente möglich. Auch aus dieser Beschreibung wird die Subjektbezogenheit dieser Methode ersichtlich.

Als mögliche Einsatzfelder nennt Flanagan (1954, 346): Personalauswahl, Personalbeurteilung, Bestimmung des Trainingsbedarf, Softwareergonomie, Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitsplatzanalysen, Messung von Einstellungen und Persönlichkeitseigenschaften (z.B. Führungskompetenz), aber auch die Beratung und die Psychotherapie.

Gerade bei den Aufgabenstellungen Arbeitsplatzanalysen, Personalbeurteilung, Personalauswahl, Bestimmung von Trainingsbedarf (Schulungsbedarf) hat der Einsatz der CIT gerade im Feld der Unternehmensberatungen Einzug gehalten. Allerdings ist hier nicht immer eine klare Zuordnung erkennbar, daher finden sich häufig Beispiele der Anwendung, die eher in das quantitative Feld weisen.

Reuschenbach (2000 / 1) sieht die Critical Incident Technique als im Grenzbereich der quantitativen und qualitativen Methoden stehend. Die Beispiele aus dem Feld der Pflegeforschung weisen eindeutig die Nutzung der Methode (teilweise in adaptierter Form) als qualitativ ausgerichtetes Instrumentarium. Hier wird immer wieder die hohe Subjektbezogenheit der Methode als Argumentation in den Erklärungen angeführt.

Ausblick

Die Akademisierung der Pflege(berufe) hat in Deutschland erst vor knapp zehn Jahren begonnen. Pflegewissenschaft als jüngster Zweig dieser pflegerischen Hochschullandschaft ist gerade dabei die ersten Absolventenjahrgänge in die Praxisfelder und in die Forschung zu entlassen.

Pflegeforscher werden Zugriff nehmen auf verfügbares Wissen, Grundlagenwissen und Methodenwissen der anderen etablierten Wissenschaftsbereiche. Entscheidend für die Positionierung der Pflegewissenschaft aber wird nach Remmers (1999) auch sein: „(...), daß Pflegewissenschaft ihr innovatorisches Potential vor allem auch daraus ziehen wird, daß sie das in unterschiedlichen Nachbardisziplinen/Bezugswissenschaften entwickelte und verfügbare Wissen aufgreift, jedoch hinsichtlich pflegerischer Belange/Probleme spezifiziert und reformuliert". Auch bezogen auf die zur Verfügung/Auswahl stehenden Forschungsmethoden wird dies eine wichtige Rolle spielen.

Bei immer knapper werden finanziellen Ressourcen im Gesundheits-/ und Sozialwesen wird auch mehr und mehr eine interdisziplinäre Zusammenarbeit an Bedeutung gewinnen. Erstens können so Synergieeffekte genutzt werden und zweitens lassen sich komplexe Frage-/Problemstellungen differenzierter aufarbeiten. Es gibt einige Anknüpfungspunkte für (gemeinsame) Forschungsprojekte. Als Beispiel sei hier auf die Arbeit von B. Reuschenbach verwiesen. In seinem Promotionsvorhaben zur Personalauswahl im Gesundheitswesen (Focus Pflegepersonal) wird auch deutlich, dass das Thema Personalauswahl nicht umfassend erforscht ist. Die Frage, inwieweit Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur (demographische Entwicklung, kulturelle Veränderungen), fachliche Dimension (Umgang mit Chronizität, rehabilitative Ansätze, u.ä) Auswirkungen auf Personalstrukturen haben und welche Kompetenzen benötigt werden, um diesen gesellschaftlichen Herausforderungen im Gesundheits- und Sozialwesen begegnen zu können, wird sich nur in einem interdisziplinären Ansatz beantworten lassen.


Literaturverzeichnis

Beech, P.; Norman, I.J. (1995) Patients´ perceptions of the quality of psychiatric nursing care: findings from a small-scale descriptive study Journal of Clinical Nursing, 1995; 4: 117-123

Bortz, J.; Döring, N. (1995) Forschungsmethoden und Evaluation. 2. Aufl., Springer-Verlag Berlin Heidelberg

Carter, F.M. (1959) The critical incident technique in identification of the patients´perception of therapeutic patient-patient interaction on a psychiatric ward. Nurs Res; 8; 207-11; 1959 Fall; 6012

Chell, E. (1998) Critical Incident Technique. In: Symon, G.; Cassell, C. (1998), Qualitative methods & analysis in organizational research, Kap.: 4, Critical Incident Technique, 51-72

Flanagan, J.C. (1954) The Critical Incident Technique. In: Psychological Bulletin, Vol. 51, Nr. 4, Juli 1954, 327-358

Ludwig, Ch.A.; Blatter, H.; Fuhrer, U. (1999) Spitalärzte im Lichte von Beschwerdebriefen. Verlag Hans Huber, Bern. Praxis 1999; 88: 755-760

Norman, I.J.; Redfern, S.J.; Tomalin, D.A.; Oliver, S. (1992). Developing Flanagan´s critical incident technique to elicit indicators of high and low quality nursing care from patients and their nurses. Journal of Advanced Nursing, 1992, 17, 590-600

Remmers, H. (1999) Pflegewissenschaft und ihre Bezugswissenschaften. Fragen pflegewissenschaftlicher Zentrierung interdisziplinären Wissens. Pflege. Verlag Hans Huber Bern; 12:367-376

Reuschenbach, B. (2000 / 1) Forschungsplan zum Projekt „Personalauswahl im Gesundheitswesen". Unveröffentlicht

Reuschenbach, B. (2000 / 2) Interviewmanual - Version 2.0 - Stand 01.09.2000. Zur Anwendung der Critical Incident Technique. Unveröffentlicht

Rimon, D. (1979) Nurses´ perception of their psychological role in treating rehabilitation patients: a study employing the Critical Incident Technique. Journal of Advanced Nursing, 1979, 4, 403-413

Tolson, D.; Smith, M.; Knight, P. (1999) An investigation of the components of best nursing practice in the care of acutely ill hospitalized older patients with coincidental dementia: a multi-method design. Journal of Advanced Nursing, 1999, 30 (5), 1127-1136

Internetseiten

(1) aus: http://www.sentha.tu-berlin.de / Institut für Arbeitswissenschaften der TU-Berlin (2000)
(2) aus: http://home.t-online.de/home/dr.vollmer/tip.htm / Vollmer, M. (2000) Familienkompetenzen als Sprungbrett
(3) aus: http://www.uni-oldenburg.de/psychologie/gesundheit/patientenberatung.htm / Carl v. Ossietzky Universität Oldenburg, Fachbereich 5 Psychologie - Arbeitseinheit Psychologie im Gesundheitswesen

Anhang

Der „Interviewmanual -Version 2.0- zum Projekt Heidelberg" ist dieser Internetpräsentation nicht beigefügt.